Was wir am meisten vermisst haben: Leichtigkeit, Struktur, Bewegungsfreiheit


Es sind anspruchsvolle Zeiten, in denen wir leben – die täglichen Herausforderungen, welche uns die aktuelle Bedrohungslage bietet, halten uns auf Trab und zwingen uns dazu, ständig in Varianten zu denken.

Von Jeroen van Rooijen

Abgesehen vom Stress, den dies mit sich bringt, ist das permanente «Flex-Training» aber vielleicht auch ein Weg zu einer besseren Welt. Wenn wir jetzt lernen, uns rasch anzupassen und neu aufzustellen, so könnte uns dies helfen, kommende Krisen besser zu meistern.

Die Kleidung hat sich den neuen Lebensumständen bereits angepasst. Weil kaum jemand weiss, was morgen ist, geschweige denn in einem Monat, ist die neue Mode modular, baukastenartig und in Varianten gedacht. Sie folgt nicht mehr starren Mustern und Aufgaben, die Genres vermischen sich zu einem neuen Look. Die alten Register wie Business, Casual oder Workwear haben ausgedient. Der neue Stil hat von allem etwas.

Zudem bietet die neue Garderobe dieses Frühlings all jene Qualitäten, die wir die letzten Monate schmerzlich vermisst haben:

Leichtigkeit: Die Textiltechnologie hat unglaubliche Fortschritte erzielt, um auch traditionelle Gewebe so leicht wie möglich zu machen. Auch klassische Anzugsstoffe haben heute ein Gewicht, das früher nur den leichtesten Luxus-Textilien hatten. Dass diese neuen Stoffe dennoch blickdicht und belastbar sind, macht sie zu einem «Game Changer» für die Männermode.

Struktur: Menschen brauchen Orientierungspunkte, um sich zurecht zu finden – auf einem spiegelglatten Ozean ohne Horizont ist auch der erfahrenste Seemann ohne Ziel unterwegs. Die neuen Stoffe dieser Saison bieten viel Struktur: Taktile, dreidimensionale Erlebnisse für die Fingerkuppen. Sie sind körnig, gerippt oder geraut. Dies sorgt nicht nur für eine lebendige Optik des Materials, sondern auch für den nötigen Schuss Authentizität.

Bewegungsfreiheit: Nicht raus zu können oder nicht reisen zu dürfen – ein Graus. Denn der Mensch braucht Bewegung, erst im Erkunden seiner Umwelt ist er frei. Damit dieser aufgestaute Bewegungsdrang sich frei entfalten kann, sind die neuen Stoffe dehnbar, elastisch, belastbar und atmungsaktiv. Naturfasern geben den Ton an. Mit einer guten Passform erreicht man mehr Komfort als mit viel Synthetik und Chemie.

Jeroen van Rooijen ist freischaffender Stilkritiker und war 2014 Mitbegründer des Alferano-Concept-Stores.